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Im Komplex der "Milk"-Studios im New Yorker Meatpacking District, gleich hinter dem Hauptquartier von Diane von Furstenberg, können acht Fotoproduktionen parallel stattfinden. In letzter Zeit, das erzählt der Studiomanager, bringen die Art-Direktoren die Fotografien von Sam Haskins aus den 60er-Jahren mit auf die Shootings – der hierzulande eher unbekannte Fotograf wird seiner ästhetischen Frauenporträts wegen wiederentdeckt.
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Madonna liess sich von Tom Munro im Stil der "Cowboy Kate" für die britische "Elle" fotografieren, Tommy Hilfiger war "seit Urzeiten ein Fan dieses Buches" und verwendete vor einiger Zeit eine alte Aufnahme als viel beachtetes Werbemotiv. "In den Bildern von Sam Haskins finde ich eine unverkrampfte Coolness, die ideal zu meiner Mode passt", sagt Hilfiger, der gerade "Fashion Etcetera", die Retrospektive des südafrikanischen Fotografen, als Tommy Hilfiger Edition herausgebracht hat.
Sam Haskins selbst sitzt tief in den Polstern eines breiten Sofas im vierten Stock des Studiogebäudes. Unter seinem rechten Auge ist ein breiter, beinahe schwarzer Fleck zu sehen. Wie er in dem irgendwie irisch anheimelnden Akzent des Südafrikanischen erklärt, war er auf dem Zwischenstopp im südkoreanischen Seoul gestürzt: "Ich bin auf mein Gesicht gefallen". Haskins, noch immer Vielflieger, ist 83 Jahre alt.
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WELT ONLINE: Beim Betrachten Ihrer frühen Fotografien fragte ich mich: Warum sahen die Frauen in den 60er- und 70er-Jahren um so vieles besser aus?
Sam Haskins: Ich glaube, die Mädchen waren damals einfach naturbelassener. Den ganzen Flitter gab es damals noch nicht: Make-up, Retuschen, Haarverlängerungen - brauchten die damals gar nicht. Das waren glückliche Mädchen. Immer fröhlich, denen hat das Leben Spaß gemacht. Diese Lebensfreude sieht man auf den Bildern. Da ist die Schönheit, die Sie meinen.
WELT ONLINE: Wo ist die Lebensfreude hin?
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Haskins: Wenn ein Mädchen heute über eine Stunde vom Make-up-Artist geschminkt wird, dann kommt der Hairstylist und zaubert eine Frisur – ist doch kein Wunder, wenn die verspannt wirken. Die haben ja keine Muße, um zu entspannen. Meine Mädchen kamen damals ins Studio, da haben wir erst mal viel gelacht. Irgendwann hat sich dann ein Mädchen auch mal kurz geschminkt und es konnte losgehen – alles ganz entspannt und eher nebenher. Ich glaube ja heute noch, dass darin das Rezept für gute Fotos zu finden ist: wenn es dir gelingt, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle wohlfühlen.
WELT ONLINE: Waren das damals professionelle Fotomodelle?
Haskins: Iwo! In den Sechzigern gab es noch nicht einmal Modelagenturen. Wir gabelten die Mädchen in Johannesburg vor der Universität auf. Gefiel uns eine, folgten wir ihr auf die Straße und versuchten sie anzusprechen. Manche versuchten davonzulaufen – wir sind hinterher.
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WELT ONLINE: Kamen alle Studienfächer infrage?
Haskins: Es waren schon viele Kunststudentinnen. Medizinstudentinnen waren auch dabei. Wir fragten, ob sie hübsche Freundinnen hätten, und so ging es dann weiter.
WELT ONLINE: Wurden die Frauen, die sich jagen und fotografieren ließen, hinterher schief angesehen?
Haskins: Ich glaube, es wusste damals niemand so recht, was das sein sollte: zu modeln, ein Model zu sein. Der Beruf war unbekannt, man sagte: Jemand hat ein Bild von mir gemacht. Und die Kunststudentinnen waren genau wie wir daran interessiert, dass diese Bilder gut wurden. Wir hatten uns ja keine dummen Dinger herausgepickt, die waren alle zwar jung, aber smart.
WELT ONLINE: Gibt es einen Zusammenhang von Intelligenz und Schönheit?
Haskins: Klar. Kluge Mädchen sehen besser aus.
WELT ONLINE: Weil sie mehr Selbstbewusstsein haben?
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Haskins: Vielleicht. Vor allem sehe ich einem nicht ganz so klugen Mädchen an, dass es mehr aus sich machen könnte – und dass sie das offensichtlich nicht tut, lässt sie mir als weniger schön erscheinen.
WELT ONLINE: Dabei heißt es doch, Intelligenz lähmt, schwächt, hindert?
Haskins: Kein Stück! Wobei mir noch ein Unterschied einfällt: Wenn ich zu Anfang, um das Licht zu messen, ein paar Polaroids mache, dann sind es die cleveren Mädchen, die gleich nach den ersten Schüssen zum Fotografen laufen. Weil sie sich dafür interessieren, wie sie auf den Bildern rüberkommen. Den anderen ist das egal. Die machen vier Stunden alles mit, verkaufen ihre Posen für Geld, und es ist ihnen egal, wie das aussieht.
WELT ONLINE: Welchen Tagessatz hat man in den Sechzigern einem Model bezahlt?
Haskins: Herrlich war das, kaum mehr als nix. Der übliche Satz waren 30 Pfund am Tag.
WELT ONLINE: Das Tausendfache reicht heute nicht mehr.
Haskins: Gewiss nicht. Aber die Jungs bei den Werbeagenturen beschwerten sich damals trotzdem, dass die Modelle zu viel Geld kosteten. Oft haben wir die Mädchen aus eigener Tasche bezahlt. Heute macht es mich nervös, wenn ich beim Betreten des Studios unwillkürlich die Honorare summiere: Was da beim bloßen Herumstehen und Warten schon an Kosten aufläuft – bevor ich auch nur einmal abgedrückt habe, wohlgemerkt: Studiomiete, Catering, Flugkosten, Assistenten, Haarleute, Make-up-Leute, Lichtleute. Und meine Aufnahme soll das alles wieder einspielen?
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WELT ONLINE: Die junge Frau auf dem Umschlag Ihres neuen Buches "Fashion Etcetera" ist mit einem solchen Schuss eingefangen: goldwert. Können Sie sich an sie erinnern?
Haskins: Aber sicher! Sie hat Kunst studiert. Meine Schwägerin, die mir ebenfalls Modell stand, brachte sie eines Tages mit ins Studio.
WELT ONLINE: Wie war ihr Name?
Haskins: Gill. Sie war ein Naturtalent. Ihre Aufnahmen erschienen in meinem Buch "Five Girls", das in der Zeit des Koreakrieges erschienen war. Viele der amerikanischen Soldaten hatten dieses Buch mit im Marschgepäck.
WELT ONLINE: Aber schauen Sie sich das Bild an: Sie hat einen natürlichen Busen, Photoshop war noch nicht erfunden – trotzdem ist sie wunderschön. Und hat nur 30 Pfund gekostet.
Haskins: Für den ganzen Tag!
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WELT ONLINE: Was macht sie heute?
Haskins: Ich habe leider den Kontakt zu ihr verloren. Aber mit ihren Fotos war sie damals sehr zufrieden.
WELT ONLINE: Nach den Erfolgen Ihrer ersten Bücher "Five Girls" und "Cowboy Kate": Standen die Frauen damals nicht Schlange vor Ihrem Studio?
Haskins: Ich war damals gerade nach London umgezogen, und dort waren die Mädchen anders als zu Hause in Südafrika: hochnäsiger, mehr am Geld interessiert. Nicht so schön.
WELT ONLINE: Können Sie sich erklären, weshalb Ihre Bilder zu Klassikern wurden?
Haskins: Sie fangen den Zeitgeist der Sixties ein. Das war eine interessante Zeit, weil noch viel Lebensfreude spürbar war. Und das vermitteln meine Bilder ganz gut. Ich war ein junger Fotograf, sozusagen ein Szenetyp.
WELT ONLINE: Und Ihren Londoner Alltag dürfen wir uns vorstellen wie aus Antonionis Film "Blow Up" bekannt?
Haskins: Fährt der nicht einen Rolls-Royce?
WELT ONLINE: Es ist, glaube ich, ein Jaguar.
Haskins: Auch noch zu teuer. Aber als ich in London ankam, hat man mir auch dieses Fotostudio zur Miete angeboten, in dem die Szenen für "Blow Up" gedreht worden waren – aber es war nicht halb so schön wie in dem Film. Ich ließ mich dann in Chelsea nieder. Mein Flurnachbar dort war ein Sekretär der Beatles, der mir hin und wieder interessante Mädchen zum Fotografieren vorbeischickte. Die kamen aus aller Welt. Denen musste ich nicht einmal etwas bezahlen.
WELT ONLINE: Wann mussten Sie feststellen, dass sich das Aussehen der Frauen veränderte?
Haskins: Es gab keine eindeutige Veränderung, sondern ein sich aufschaukelndes Auf und Ab. Veruschka war zum Beispiel, als sie noch jung war, ein natürliches, entspanntes Mädchen. Aber dann fing sie partout mit diesem merkwürdigen Bodypainting an.
WELT ONLINE: Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?
Haskins: Das ist ewig her.
WELT ONLINE: Sie lebt jetzt in Berlin.
Haskins: Und wie sieht sie aus? Ich habe mich gefragt, ob eine Schönheit wie Veruschka auch gut reifen würde.
WELT ONLINE: Das Problem mit der plastischen Chirurgie ist doch, dass man immer weitermachen muss, hat man erst angefangen. Da gerät etwas aus dem Gleichgewicht, und letzten Endes sieht ein mehrfach operiertes Gesicht unschöner aus, als wenn es unbehandelt belassen worden wäre.
Haskins: Es gibt Stellen, an denen man selbst durch Operationen nichts ändern kann: Hals und Hände zum Beispiel. Deshalb trägt Karl Lagerfeld ausschließlich diese hohen Hemdkrägen – damit man die Faltigkeit seines Halses nicht sieht. Und deshalb trägt er auch immer Handschuhe in der Öffentlichkeit – darunter verbirgt er die Pigmentflecken, die das Alter nun einmal mit sich bringt.
WELT ONLINE: Merkwürdig, dass der größte Modernist unserer Zeit weit über 70 Jahre alt ist.
Haskins: Das stimmt – finde ich aber auch amüsant.
WELT ONLINE: Welche jungen Fotografen finden Sie gut?
Haskins: Ich mag Steven Meisel.
WELT ONLINE: Der ist nun auch nicht gerade jung – Meisel ist 55.
Haskins: Tatsächlich? Merkwürdig, dabei hätte ich gedacht ... er sieht doch so jung aus!
PS: Drei Tage nach diesem Gespräch stellte sich heraus, dass Mr Haskins damals auf dem Flughafen von Seoul einen Schlaganfall erlitten hatte.